Liebe Fragestellerin, lieber Fragesteller
Unser Geduldsfaden reisst dann am schnellsten, wenn wir meinen, wir könnten oder müssten den freien Willen unserer Kinder beeinflussen, indem wir so überzeugend mit ihnen reden, dass sie es dann ganz sicher genau wie wir sehen, und dann vorwärts machen. Wenn wir darauf setzen, aber die Kinder nicht darauf ansprechen, sind wir mit unserem Erziehungslatein am Ende. Wir nerven uns, sind hilflos, zweifeln an unseren Fähigkeiten, der Geduldsfaden wird dünner und dünner und reisst irgendwann.
Tatsächlich ist es so, dass unsere Kinder – auch dank unserer heutigen Ansicht, dass man Kinder nicht mit Gewalt gefügig machen soll – nun mal ihren freien Willen haben, und das ist auch gut so. Sie ticken deshalb im «Ich mache nur, wozu ich Lust habe-Modus». Es ist befreiend, wenn wir dies begreifen. Es gibt keinen Trick, den Willen unserer Kinder zu lenken oder auszuschalten.
Worauf sie aber sehr gut ansprechen, ist, wenn wir sie auf das, was gerade nötig ist und darauf, wie die Gegebenheiten nun einmal sind, ansprechen und daran auch nicht rütteln.
Für das Schwimmbad heisst das: Wenn geplant ist, um 13.30 aufzuräumen oder die Hausaufgaben zu erledigen, um um 14.30 ins Schwimmbad aufzubrechen, könnte das so aussehen: «Kinder, es ist jetzt halb zwei Uhr. Ihr möchtet ja ins Schwimmbad und vorher ist es nötig, dass ihr eure Sachen, die im Wohnzimmer herumliegen, einsammelt und in euren Zimmern verstaut. Danach können wir gehen. Wenn ihr sofort anfangt, sollte eine Stunde gut reichen, und wir haben danach einen schönen Nachmittag im Schwimmbad. Wenn ihr länger als eine Stunde braucht, verkürzt sich unsere Zeit im Schwimmbad, weil wir um halb sechs wieder heim müssen. Und wenn wir um 15.00 noch nicht gehen können, weil ihr noch nicht fertig seid mit euren Aufgaben, lohnt es sich nicht mehr zu gehen. Dann bleiben wir zu Hause und ersuchen es am nächsten Mittwochnachmittag wieder mit dem Schwimmbad.» In diesem Fall brauchen die Eltern gar keine Geduld, denn sie haben einen Plan B, den sie eintreten lassen werden, wenn die Kinder nicht rechtzeitig aufräumen oder ihre Hausaufgaben erledigen. Sie können in dieser Zeit ihre eigenen Dinge erledigen oder die Zeitung lesen, ganz entspannt, denn sie wissen, was SIE tun können, wenn die Kinder ihren freien Willen nicht so einsetzen, wie es sinnvoll wäre, um aufzuräumen, die Aufgaben zu machen plus ins Schwimmbad zu gehen. So erfahren die Kinder, dass das, was die Eltern sagen, ernst gemeint ist. Wenn um 15.00 nicht aufgeräumt ist und die Aufgaben noch nicht erledigt sind, gibt es an diesem Nachmittag kein Schwimmbad. Dies wird ihnen in Erinnerung bleiben, und wenn es das nächste Mal heisst, aufräumen oder Aufgaben machen, damit wir nachher ins Schwimmbad gehen können, würde es mich nicht wundern, wenn alles wie am Schnürchen klappt. Denn Kinder sind schlau und lernfähig.
Etwas anders liegt der Fall beim Bereitmachen für die Schule: In die Schule zu gehen, ist eine Pflicht, da können die Eltern nicht sagen, wenn ihr nicht rechtzeitig bereit seid, könnt ihr halt nicht in die Schule😊 Dennoch ist es auch hier ratsam, den Schulkindern die Verantwortung für das rechtzeitige Fertigsein zu übertragen. Das könnte zum Beispiel so aussehen: «Kinder, ihr könnt beide die Uhr schon lesen. Ihr müsst, wenn der Zeiger hier ist, also um 7.50, aus dem Haus, um pünktlich in der Schule zu sein. Was meint, ihr, braucht ihr eher lang oder kurz, um aufzustehen, euch zu waschen, anzuziehen und Zmorge zu essen? Wenn ihr viel Zeit braucht, wecke ich euch um 7.00, wenn ihr wenig Zeit braucht, um 7.20. Ich verlasse mich darauf, dass ihr um 7.50 bereit seid. Wenn nicht, werdet ihr zu spät kommen und die Lehrerin oder der Lehrer werden euch dann sagen, welche Konsequenzen das Zuspätkommen hat. Ich glaube, ihr schafft das.» Dann werden sich die Eltern wieder ähnlich verhalten, sich sagen, es ist Sache und Verantwortung der Kinder, sich bereit zu machen. Das liegt jetzt nicht mehr an mir. Wieder wird der Geduldsfaden der Eltern nicht strapaziert, wenn sie wissen, dass sie es aushalten, wenn die Kinder zu spät kommen sollten, und es dann den Lehrpersonen überlassen können, mit den Kindern zu dealen.